Im Jahr 1862 erreichte die Jüdische Gemeinde in Freudental mit 377 Köpfen – das war fast die Hälfte der Einwohnerschaft – einen einmaligen Höchststand. Die bisherigen Gemeindeeinrichtungen wurden zu klein. Deshalb erwarb die Religionsgemeinde das sogenannte Simon’sche Haus in der Strombergstraße 16, um hier nach Umbauarbeiten ihr Rabbinat, das sich zuvor im heutigen PKC in der Strombergstraße 19 befunden hatte, und die Jüdische Schule unterzubringen. Der Lehrsaal befand sich im Erdgeschoss, Rabbinat und Rabbinerwohnung in den Obergeschossen.
Nach dem Tod des letzten Freudentaler Rabbiners Moses Haas am 26. Juni 1887 bestand das Bezirksrabbinat Freudental nur noch auf dem Papier weiter. Die Gemeinde wurde nun von den jüdischen Lehrern geleitet, die als Rabbinatsverweser im Auftrag des Stuttgarter Bezirksrabbiners amtierten und ebenfalls im Haus gewohnt haben müssen. Sie versahen zugleich das Amt des Vorsängers.
Anfang der 1920er Jahre wurde auch die Jüdische Konfessionsschule aufgelöst, der Unterrichtsraum wurde aber weiter benutzt. Im Winter diente er der Gemeinde als Betsaal und somit als saisonaler Ersatz für die unbeheizte Synagoge. Deshalb wurde im Schulhaus auch mindestens eine Thorarolle aufbewahrt.
In die vormalige Rabbinerwohnung zog nun der Viehhändler Julius Stein mit seiner Familie ein. Nach dem Ausschluss der jüdischen Kinder aus der Freudentaler Volksschule diente das Erdgeschoss ab April 1935 nochmals als Jüdische Privatschule. Wegen der durch Flucht und Abwanderung sinkenden Kinderzahlen musste sie im April 1938 geschlossen werden.
Im Pogrom des 10. November 1938 wurde der Schul- und Betsaal geplündert, nachts drangen Nazis in die Stein’sche Wohnung ein und misshandelten den Hausherrn. Das Haus wurde anschließend „arisiert“, im Erdgeschoss wurde ein Kindergarten der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt eingerichtet, ins Obergeschoss zog die Hitler-Jugend ein.
© Steffen Pross