„Mein Haus und Scheuer nehmen diese mir auch!“ Mit diesem Aufschrei der Verzweiflung reagierte der jüdische Landwirt Moritz Herrmann im März 1942 auf die erzwungene „Arisierung“ seines Bauernhofs. Seinen Garten hinter der Synagoge und seine Äcker und Obstwiesen hatte er zu diesem Zeitpunkt unter dem Druck der NSDAP und ihrer lokalen Sachwalter bereits verschleudern müssen, dem Zwangsverkauf von Haus und Hof sollten noch im selben Jahr Vertreibung und Deportation folgen.
Moritz Herrmann hatte das Anwesen im „Sieben-Mischteles-Hof“ – dem Hof mit den sieben Misthaufen -, das er mit seinen Eltern und seiner ersten Frau Lina geb.Fleischhacker und Sohn Julius bezog, Im April 1910 gekauft. Im Januar 1911 wurde Tochter Lina geboren, ihre Mutter starb im Wochenbett. Elf Jahre später heiratete Moritz Herrmann ein zweites Mal, seine Frau Sidonie geb. Rosenfeld gebar ihm im Juni 1923 einen weiteren Sohn, Adolf. Das Haus beherbergte immer weitere Bewohner, darunter den Synagogendiener Sigmund Lasar und die jüdischen Lehrer Wolf Berlinger und Simon Meisner. Außerdem erhielten etliche junge Zionisten bei Moritz Herrmann die für die Auswanderung nach Palästina obligatorische, landwirtschaftliche Grundausbildung, zuletzt Alfred Wolff.. Häufig hielten sich auch jüdische Jugendgruppen aus Stuttgart im Haus auf, in dem eine koschere und eine nicht-koschere Küche geführt wurden. 1938 zogen Sidonies Bruder Max Rosenfeld und sein Sohn Hermann ins Haus, zeitweise wohnten auch Max Rosenfleds Frau Selma und Tochter Bertel in dem Gebäude Strombergstrage 11.
Am 10. November 1938 drangen auswärtige Nazis unter Führung des Freudentaler NSDAP-Ortsgruppenleiters Ludwig Bauer ins Haus ein, plünderten Meisners Zimmer, misshandelten und demütigten die Bewohner. Es gibt Anzeichen, dass die letzten Freudentaler Juden nach der Demolierung ihrer Synagoge und der Schließung der jüdischen Schule im Herrmann-Haus im Verborgenen ihre Gottesdienste feierten. Mit dem Einsetzen der Deportationen im Herbst 1941 wurde das Gebäude Strombergstraße 11 zu einem „Judenhaus“. Nach dem erzwungenen Verkauf von Haus, Hof und Betriensfläche wurden Moritz und Sidonie Herrmann als letzte Freudentaler Juden am 8. April 1942 ins Zwangsaltersheim Dellmensingen bei Ulm zwangseinquartiert – die erste Etappe ihrer Deportation nach Theresienstadt und Auschwitz. Nach über 200 Jahren jüdischen Lebens im Dorf war Freudental damit „judenrein“.
© Steffen Pross