Die alte Scheuer ist unscheinbar, das Dach seit langem einsturzgefährdet, ihre Erhaltung gilt daher als aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar, das Gebäude ist seit Oktober 2017 auch zum Abbruch freigegeben. Und doch ist die Scheune in der Jägerstraße ebenfalls im Herbst 2017 als Baudenkmal anerkannt worden, weshalb ihre denkmalwürdigen Bestandteile vor dem Abriss dokumentiert und geborgen und später möglichst museal ausgestellt werden sollen: Das einstige Nebengebäude des Rabbinats und der Schule diente – von der Schließung der letzten Freudentaler Koschermetzgerei im Jahr 1910 bis mindestens zum Erlass des Schächtverbots durch die Nationalsozialisten – als Schächthaus der jüdischen Gemeinde, wo die Freudentaler Juden wohl vor allem Kleinvieh und Geflügel gemäß den rituellen Vorschriften schlachten konnten. Das mit der Androhung von KZ-Haft verbundene und unter dem Vorwand des Tierschutzes propagierte Verbot vom 21. April 1933 habe die örtlichen Juden „empfindlich“ getroffen, jubelte NS-Ortschronist Gaiser, da sie „auf rituelle Lebensweise großen Wert legten“. Margot Rubin (geb. Stein) bestätigte das noch Jahrzehnte später: In ihrem Elternhaus, erinnerte sie sich, habe es fortan kaum noch Fleisch zu essen gegeben.
Da die Scheuer in der Jägerstraße über Jahrzehnte als reiner Abstellraum verwendet und seit den 1940er Jahren kaum verändert wurde, lassen sich die Spuren ihrer Nutzung als Schächthaus, solange sie noch steht, im Inneren des unteren Gebäudeteils weiterhin ebenso ablesen wie jene ihrer „Arisierung“. Noch immer hängen die alten Fleischerhaken an der Wand, die Ablaufrinne fürs Blut der geschächteten Tiere ist ausbetoniert, aber gerade deshalb leicht zu erkennen. Auf den ersten Blick kaum sichtbar sind dagegen Abrechnungen über geliefertes Schlachtvieh, die mit Bleistift an die Wand geschrieben wurden. Auch ein Lieferant ist namentlich genannt: Wilhelm Kummer, der als „Judenfreund“ ortsbekannte Wagner und Posthalter aus der Gartenstraße 2.
Das legt die Vermutung nahe, dass in der Jägerstraße auch nach dem Mai 1933 weiterhin und nun illegal Kleinvieh und Geflügel geschächtet worden sein könnte: Angesichts des Niedergangs ihres Geschäfts und des Schächtverbots dürften sich die jüdischen Viehhändler Freudentals in ihrer Tierhaltung weitgehend auf Legehennen beschränkt haben – sie müssen deshalb bei der Fleischbeschaffung auf Importware oder auf verschwiegene Freunde angewiesen gewesen sein. Bemerkenswerter Weise erwähnt Gaiser das Schächthaus nicht, er stellt lediglich fest, dass es nach der Schließung der letzten koscheren Metzgerei bis 1933 „in der Schlächterei des Ortes“ auch rituelle Schlachtungen gegeben habe. Tatsächlich verkaufte die Metzgerei im heutigen Gasthof Lamm bis 1933 neben dem üblichen auch koscheres Fleisch.
Die Schechita oblag in Freudental seit 1926 dem Synagogendiener Sigmund Lasar. Dass die „Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs“ bei der Würdigung seiner 25-jährigen Tätigkeit als „Synagogenverwalter“ am 16. April 1934, also noch ein Jahr nach dem Verbot, auch auf Lasars Schächteramt eingeht, ist jedenfalls bemerkenswert.
Schließlich kündet ein weiteres Graffito von der „Arisierung“ des Schächthauses, die gemeinsam mit jener des Schulhauses in der Strombergstraße 16 erfolgt sein dürfte, in das nach dem Pogrom vom 10. November 1938 ein NSV-Kindergaten und die Hitler-Jugend einzogen. Tatsächlich stammt ein über die Abrechnungen mit Kummer gekritzelter Hitler-Gruß samt Hakenkreuz erkennbar von einer Schülerhand.
© Steffen Pross