Die Kerbe für die Mesusa am Türsturz ist noch vorhanden und zeigt: Dieses Haus hat einer jüdischen Familie gehört. Das stattliche Anwesen Pforzheimer Straße 3 kann es in seiner fürs alte Dorf untypischen Repräsentativität durchaus mit der Kaserne und dem ehemaligen Pfarrhaus aufnehmen. 314 Quadratmeter Wohnfläche und ein Nutzgarten von 207 Quadratmetern – so ist es im Grundbuch von 1936 verzeichnet. Gehört hat das Haus damals der Familie des Pferdehändlers und ursprünglichen Besitzers Abraham Levi. Der galt in Freudental als sagenhaft reich und starb im Mai 1913. Als vermutlich letztes seiner vier Kinder, die das Erwachsenenalter erreichten, verließ 1919 Tochter Hedwig das Haus. Die anderen drei – Alma, Fanny und Irwin – waren um diese Zeit längst flügge geworden und „in die Stadt“ gezogen. Bis zum Verkauf im Juni 1936, der weit unter Wert erfolgte, lebte so nur noch Abrahams Witwe Ernestine Levi im Haus. Zwei Wohnungen hatte sie an Nicht-Juden vermietet.
Das Haus Pforzheimer Straße 3 war das erste „arisierte“ Anwesen in Freudental. Als Ernestin Levi es verkauft hatte und ihren Haushalt auflösen wollte, erschien in der NS-Rundschau ein Aufruf an die „Volksgenossen“, keinen „jüdischen Hausrat“ zu kaufen: „Wer sich als Deutscher fühlt, lehnt es grundsätzlich ab, beim Juden zu kaufen; in diesen (…) Fällen aber um so mehr, da es sich um Dinge handelt, die den intimsten jüdischen Bedürfnissen dienten, oft in einer Weise, die uns Deutsche anekelt. Wer weiß, wie und mit was für Geld der als Geldgeber hier einst herrschende Pferdehändler Levi und die anderen beiden Juden alle diese Dinge erworben haben?“ Bis April 1942 mussten die Freudentaler Juden ihren gesamten Immobilienbesitz und den größten Teil ihres Mobiliars und Hausrats weit unter Wert verkaufen. Die „Herkunft“ ihres neu erworbenen Hab und Guts hat die „Volksgenossen“ auf Schnäppchenjagd dabei nicht interessiert – sehr wohl aber die Möglichkeit, Preise zu drücken.
© Steffen Pross