Hauptstraße 14 – Gasthof Lamm

Jüdische Geschichte

Als Isak Weil um 1840 noch Lehrer in Kochendorf und nicht in Freudental war, erreichte ihn ein Liebesbrief seiner Verlobten Hanna Güldenstein:
„Lieber Weil! Jetzt ist gottlob der ewig lange Feiertag einmal vorüber. Die Langeweile hat mich fast umgebracht. Wie ging es denn bei dir? Gewiß etwas besser. Herren können sich doch immer leichter die Zeit vertreiben als wir Frauenzimmer. (…) Ich freue mich sehr, dir zu deinem Geburtstag recht viel Glück und Segen zu wünschen. Der liebe Gott moge dich recht lange mir erhalten. Das ist mein einziger und höchster Wunsch. Mit einem Wort: Du giltst mir mehr als alles Möbel. Sei ja nicht böse, lieber Weil, daß ich so Spaß mache, aber ich kann unmöglich so feierlich sein, so sehr es mir auch ernst ist. Ich habe mir das Vergnügen gemacht, dir, mein Teurer, ein kleines Geschenk zu deinem Geburtstag zu machen, und das ist eine Grawade, die du an unserer Hochzeit zum erstenmal anziehen sollst. Da mußt du dich ja gar zu schön ausnehmen. Da muß ich mich aber hüten, daß ich nicht verliebt werde, denn meine Freiheit muß mir bleiben. Du weißt ja, der Mensch ist frei und wär er in Ketten geboren. Also auch unter der Botmäßigkeit eines Mannes kann man frei sein, und wenn der Mann so gut ist, wie du es bist, dann hat es ja gewiß keine Not.“
Die Ehe zwischen dem Schulmeister und der Schiller zitierenden Hanna kam zustande, die Familie zog später nach Freudental. Dort vermählte sich die noch in Kochendorf geborene Tochter Mathilde im April 1865 mit David Levi, Sohn des alteingesessenen Freudentaler „Handelsmannes“ Machuel Levi und Gastwirt im heutigen Gasthaus „Lamm“. Auch hier muss die Liebe heftig gewesen sein, denn David Levi war gerade erst geschieden worden. 1873 gaben die Levis ihr Freudentaler Wirtshaus auf, zogen mit ihren inzwischen sechs Kindern nach Stuttgart und schafften den Aufstieg ins Bürgertum.
Nicht nur diese für die Geschichte der Freudentaler Juden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus kennzeichnende Episode macht das „Lamm“ zu einem für den jüdischen Ortsrundgang bedeutenden Ort: Das Gasthaus war über Jahrzehnte hinweg ein Ort geselliger und gesellschaftlicher christlich-jüdischer Begegnung. Hier traf sich der Gesangverein, der christliche und jüdische Sänger hatte, die sowohl in der evangelischen Kirche als auch in der Synagoge gemeinsam auftraten, hier wurde der langjährige Gemeinderat Israel Herrmann von christlichen und jüdischen Dorfhonoratioren gewürdigt, hier bezahlten die jüdischen Viehhändler sonntags ihre christlichen Knechte, hier traf man sich zum Würfelspiel – wobei die Juden an Samstagen wegen des Schreibverbots am Schabbat die Punkte duch das Verteilen von Zündhölzchen „notiert“ haben sollen. Nach dem Tod des letzten jüdischen Metzgers Emil Weil im Jahr 1910 übernahm die Metzgerei im „Lamm“ auch den Verkauf koscheren Fleisches.
Genau gegenüber lag bis zu seinem Abriss im Jahr 2016 der Gasthof „Hirsch“. Er war das „Nazilokal“ in Freudental, in dem die Ortsgruppe der NSDAP gegründet wurde und wo die lokalen Braunhemden „Erfolge“ wie den Pogrom des 10. November 1938 mit Bier begossen. Man wird auch nächtliche Überfälle auf die am Platz wohnenden Viehhändler Josef Weil und Erich Jordan mit dem „Mut“ in Verbindung bringen müssen, den sich die Täter zuvor im „Hirsch“ angetrunken hatten.

© Steffen Pross

Josef Weil
Erich Jordan